Das Wagnis Landschaft

"Stadt & Land"

Das Wagnis Landschaft

Schlegeldorf - Es ist heutzutage ein Wagnis, sich als Bildender Künstler der Landschaft zu verschreiben. Wollte man diese gegenständlich darstellen, so müßte man auf die fortschreitende Zerstörung der Natur eingehen. Wollte man Landschaft erhaben zeichnen, so liefe man Gefahr, diese bis hin zur Verfälschung zu idealisieren. Dieter Stöver, vor siebzig Jahren in Oldenburg geboren und vor acht Jahren in Schlegeldorf bei Lenggries verstorben, ging zwischen beiden Ansätzen einen eigenen, vermittelnden Weg. Er wählte das traditionelle Motiv der Landschaft, um es über das handwerkliche Experiment zur Moderne zu führen. Davon abgesehen war Dieter Stöver als Kunsterzieher der Max-Rill-Schule in Reichersbeuern tätig. Mit Jutta Stöver, seiner Ehefrau, führte "Stadt & Land" ein Zeitzeugengespräch.

Stadt & Land: In gewisser Weise war Dieter Stöver nicht nur bildender Künstler, sondern als Kunsterzieher auch Kunstvermittler. War das Notwendigkeit oder gar Prinzip?

Jutta Stöver: Es gab ganz selten nur kurze Phasen, in denen er ausschließlich künstlerisch arbeitete. Er war als Künstler nicht sehr geschäftstüchtig - weshalb er für sich die Kunsterziehung fand. Von ihr würde ich heute sagen, sie sei seine zweite Natur gewesen. Als Lehrer war er ungeheuer beliebt. Er konnte Schüler begeistern.

Stadt & Land: Wie lange war Dieter Stöver Lehrer in Reichersbeuern?

Jutta Stöver: Ich glaube von 1975 bis 1984.

Stadt & Land: Während dieser Zeit avancierte er zum Landschaftskünstler. Begonnen hat Dieter Stöver allerdings mit eher informellen Arbeiten - damals noch in München.

Jutta Stöver: Ja, als aber die Landschaft für ihn immer wichtiger wurde, zogen wir erst nach Allershausen, dann nach Dietramszell und zum Schluß nach Schlegeldorf.

Stadt & Land: Verlief die Hinwendung zur Landschaft ohne Bruch? Schließlich kam er vom Informell und von der Pop-Art!

Jutta Stöver: Während der Pop-Art hatten seine Werke auch schon Strukturen aufgenommen. Der konkrete Übergang erfolgte 1970, als er mit poppigen Farben zur Landschaft kam. Eines dieser Bilder sorgte Anfang der 70er Jahre während eines Münchner Herbstsalons im Haus der Kunst für Aufregung, denn zu dieser Zeit war Landschaft noch tabu.

Stadt & Land: Einige Bilder sind das Ergebnis ihrer Reisen...

Jutta Stöver: Als Reisende waren wir Wiederholer. Wir fuhren immer in die Toskana, nach Sardinien oder Frankreich, hin und wieder auch nach Dänemark.

Stadt & Land: Interessierte ihn das andere Licht dieser Gegenden?

Jutta Stöver: Mehr die Formung der Erde: Die Erde ist in Deutschland überwachsen. In Italien, wenn im Herbst ganze Regionen abgeerntet sind, kommt die Formung der dann kargen, steinigen Landschaft heraus.

Stadt & Land: Hat ihn die Skulptur nie gereizt - vielleicht sogar in Form der Land-Art, jener amerikanischen Modellierung der Natur? In einem Gespräch (Mit Wolfgang Jean Stock vom 7. Februar 1980) sagte er sehr präzise: "In Wahrheit war die amerikanische Land-Art eine entscheidende Anregung: es geht um die große Weite mit Spuren menschlicher Tätigkeit und nicht um topographisches Interesse."

Jutta Stöver: Eigentlich weniger, er hat grundsätzlich keine Skulpturen gemacht. Auf die Land-Art wurde er aufmerksam, als er bereits seine eigene Sprache gefunden hatte. Sie war für ihn Bestätigung. Diese Säcke, auf denen er arbeitete, sind vom Material bereits wie Felder.

Stadt & Land: Waren das immer nur Säcke...

Jutta Stöver: Eigentlich suchte er ganz unterschiedliche, immer aber anregende Untergründe, die die weiße Leinwand, diese Fläche aufbrachen. Manchmal träufelte er nur irgendetwas auf die Leinwand. Ein solches Bild besitzt heute das Münchner Stadtmuseum, wird aber von denen nicht gezeigt.

Stadt & Land: Die Werke Dieter Stövers werden überhaupt wenig gezeigt!

Jutta Stöver: Ja, und wenn man es ganz grob formulieren möchte, dann wird zur Zeit in fast allen Museen das gleiche gezeigt. Die stillen Bilder sind im Moment nicht dran.

Stadt & Land: War das zu seinen Lebzeiten anders?

Jutta Stöver: In gewisser Weise ganz anders, er hat viel verkauft, privat und über seine Galerien. Die Käufer trennten sich dann allerdings sehr ungern von ihren Bildern, liehen diese ausgesprochen ungern aus. Für sie bedeuteten die Werke etwas Beruhigendes. Die Bilder haben ja auch etwas Meditatives.

Stadt & Land: Obwohl einige Werke auch Zerrissenheit ausdrücken: Oft halten Schneisen und schwere Spuren Einzug in scheinbar unberührte Natur!

Jutta Stöver: Ich bin kein Deuter seiner Bilder. Dafür bin ich zu nahe

dran. Aber man kann ihn selber sprechen lassen. Im Rahmen einer Ausstellung, die im Jahre 1984 der Berliner Kunstverein zum Thema "Deutsche Landschaft - heute" zusammentrug, war mein Mann mit dem Bild "Trischberg" vertreten. Im Katalog schrieb er:

"Deutsche Landschaft - heute, dieser Titel könnte mißverstanden werden als eine Veranstaltung von Umweltschützern, Heimatverbänden oder Touristikunternehmern. Als Maler bin ich kein Interessenvertreter, kein Spezialist, auch kein "Landschafter. "Trischberg" ist nicht nur die Beschreibung einer Gegend. Das Vorgeformte in der Natur, das winterliche Feld, wird nicht abgebildet oder gemalt, sondern es begegnet einem "gefundenen" Vorgeformten im Material, der wie zufällig beschmutzten und strukturierten Leinwand. Diese Annäherung oder Verschmelzung hat der Betrachter zu leisten. Ist er so einmal aktiv beteiligt als Beschauer, so gelingt es ihm, auch in den Schneeresten Zeichen zu entdecken, die nicht nur Schnee bedeuten oder Wagenspuren, sondern die genauso spontan erfunden wie gefunden sein könnten in einer geheimen Übereinstimmung zwischen dem Maler und der ihn umgebenden Welt. Jemand machte mich auf den in vielen Bildern leicht gekrümmten Horizont aufmerksam. Er bedeute nicht Berg,

sondern Teil der Erdkugel. Ich hatte nicht daran gedacht. Aber ich glaube, so kann man es sehen."

Stadt & Land: Wie ging er technisch vor?

Jutta Stöver: Er begann mit einem, wie er es nannte, amüsanten Grund. Da wurden Soßen oder ähnliches über die Leinwand gekippt. Die Fläche wurde solang bearbeitet, bis ihn die Struktur an etwas erinnerte, an eine Landschaft oder einen See.

Stadt & Land: Zur Strukturierung verwandte Dieter Stöver auch - wir sprachen schon kurz darüber -Säcke aller Art.

Jutta Stöver: Ja, die Säcke wurden dann so auf die Leinwand geklebt, daß sie diese teilweise bedeckten. Wenn es ihm nicht gefiel, riß er sie wieder herunter - und klebte sie auf neue Leinwände.

Stadt & Land: Dieter Stöver experementierte sehr raumgreifend mit Material und Leinwand. Hatte er immer das dafür notwendige Atelier?

Jutta Stöver: Ja, in Dietramszell und auch hier in Schlegeldorf. In München war alles ganz anders. Das war zur Zeit des Informell. Währenddessen hat er teilweise mit Asche gearbeitet, oder direkt am Bild etwas angezündet.

Stadt & Land: Angesichts der doch ganz unterschiedlich angelegten, ja entwickelten Bilder bleibt eine letzte Frage: Gibt es bereits ein Werkverzeichnis, das die Unterschiedlichkeit der Werkentwicklung festhalten könnte?

Jutta Stöver: Eben noch nicht! Er hat selber viel notiert, und ich konnte vieles ergänzen. Aber das Werkverzeichnis ist noch nicht ganz fertig. Das liegt mit daran, daß er an seinen Bildern nicht hing. Wenn es fertig war, freute er sich darauf, es zu verkaufen. Die Bilder sollten zu den Menschen kommen.

Stadt & Land: So verstand er sich auch dort als Kunstvermittler...

Das Gespräch mit Jutta Stöver führte Stefan Boes. Der Gautinger Kunstverein plant für den Juni nächsten Jahres eine Ausstellung mit Werken Dieter Stövers. "Stadt & Land" wird darauf zurückkommen.